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Das Pre-Pack-Verfahren in Frankreich

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Die EU-Kommission hat am 7. Dezember 2022 einen Richtlinienentwurf (2022/0408) vorgelegt, der bestimmte Aspekte des Insolvenzrechts in den Mitgliedsstaaten harmonisieren soll.

Ein Vorschlag des Richtlinienentwurfs ist das sogenannte „Pre-Pack-Verfahren„, das Distressed-M&A Deals vereinfachen soll. Ein Unternehmensverkauf soll dabei schon in einer Vorbereitungsphase zum eigentlichen Insolvenzverfahren ausgehandelt werden, die Implementierung des Verkaufs aber im Rahmen eines Insolvenzverfahrens bestätigt und abgewickelt werden.

Dieses Verfahren ist in Frankreich schon länger bekannt, während in Deutschland oft das Instrument der übertragenden Sanierung ggf. in Verbindung mit einem Schutzschirmverfahren verwendet wird.

Doch wie unterscheiden sich die beiden Systeme, und welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich für Unternehmen im deutsch-französischen Kontext?

1. Das Pre-Pack-Verfahren in Frankreich

Interventionistisches und voluntaristisches Recht

Das französische Insolvenzrecht, verankert im „Code du Commerce“, verfolgt vorrangig das Ziel der Unternehmenssanierung und Arbeitsplatzsicherung. Im Gegensatz dazu steht in Deutschland die Gläubigerbefriedigung im Mittelpunkt. Das Pre-Pack-Verfahren in Frankreich spiegelt diese Philosophie wider, indem es zwei zentrale Instrumente kombiniert:

  1. Ein vertrauliches Präventionsverfahren („procédure de conciliation“ oder „mandat ad hoc“), in dem der Unternehmensverkauf vorbereitet wird.
  2. Ein Kollektiv- oder Insolvenzverfahren, das den Unternehmensverkauf rechtlich absichert.

Dieses zweistufige Verfahren bietet mehrere Vorteile, insbesondere die Vertraulichkeit der Verkaufsverhandlungen. Ein Urteil des französischen Kassationsgerichtshofs (Cour de cassation 5.10.2022, n° 21-13.108) betont die strenge Geheimhaltungspflichten dieser Verfahren

2. Ablauf des französischen Pre-Pack-Verfahrens

  1. Initiierung des Präventionsverfahrens: Der Schuldner beantragt das Verfahren, das von einem gerichtlich bestellten Schlichter (Conciliateur) geleitet wird.
  2. Vorbereitungsphase: Es erfolgt eine vertrauliche Suche nach geeigneten Übernahmekandidaten.
  3. Angebotsprüfung: Die Kandidaten legen dem Schlichter ihre Übernahmeangebote vor, die den gesetzlichen Vorgaben entsprechen müssen.
  4. Eröffnung des Insolvenzverfahrens: Das Handelsgericht prüft die Angebote und kann den Verkauf genehmigen. Dabei hat es einen großen Ermessensspielraum.

Ein zentraler Vorteil dieses Systems ist die geringe Wertminderung des Unternehmens, da der Verkauf bereits in einer vertraulichen Phase vorbereitet ist und die Insolvenz somit nicht das Marktvertrauen und den Unternehmenswert zerstört. Allerdings wird das Verfahren oft für mangelnde Transparenz kritisiert.

3. Implementierung des Deals im Rahmen eines Kollektivverfahrens

Nachdem geeignete Übernahmekandidaten gefunden und erste Verhandlungen geführt wurden, beantragt die Geschäftsführung beim Handelsgericht die Eröffnung des Kollektivverfahrens sowie die Umsetzung des „prepack cession“. Das Insolvenzverfahren wird letztlich nur zu dem Zweck eröffnet, den Pre-Pack-Deal umzusetzen.

Im Insolvenzverfahren (Redressement judiciaire oder Liquidation judiciaire)  efolgt eine Anhörung des Schlichters und eine Stellungnahme des Staatsanwaltes („procureur de la République”) dessen Rolle es vor allem ist, die Ordnungsmäßigkeit des Prozesses zu garantieren und Interessenkonflikte und Unstimmigkeiten im Verfahren zu verhindern. Das Gericht prüft im Verfahren weiterhin, ob der Schlichter eine ausreichend transparente und umfangreiche Suche nach Übernahmekandidaten durchgeführt hat.

Sofern die Übernahmeangebote die gesetzlichen Bedingungen erfüllen und der Bericht des Schlichters zum Ergebnis kommt, dass diese zufriedenstellend sind, kann das Gericht nach freiem Ermessen beschließen,den « prepack cession » umzusetzen.

Das leitende Kriterium für die Genehmigung des Veräußerungsplans ist die Sicherung der Arbeitsplätze. Gemäß Artikel L. 642-5 des Handelsgesetzes („Code du Commerce“) wird das Angebot ausgewählt, das die besten Bedingungen für den langfristigen Erhalt der Arbeitsplätze und die Gläubigerbefriedigung bietet.

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Umsetzung des „prepack cession“ ist, dass die Übernahme betriebsnotwendiger Verträge nicht von der Zustimmung der Vertragspartner abhängig ist. Die Übertragung der Verträge kann somit gerichtlich durchgesetzt werden, was einen großen Vorteil für Übernehmer darstellt.

4. Vergleich mit Deutschland

In Deutschland gibt es bislang keine rechtliche Grundlage für ein Pre-Pack-Verfahren in dieser Form. Der Insolvenzverkauf erfolgt in der Regel durch einen Insolvenzverwalter im Rahmen des öffentlichen Insolvenzverfahrens. Gegebenenfalls wird der Sanierungsplan unter einem Schutzschirmverfahren erarbeitet.

Wichtige Unterschiede sind:

Frankreich (Prepack Cession)

1. Zielsetzung:

  • Unternehmenssanierung
  • Arbeitsplatzsicherung

2. Vertraulichkeit:

  • Sehr hoch, vertrauliche Verhandlungen
  • Verhandlung durch Conciliateur und Unternehmen.
  • Hohes Ermessen des Gerichts betreffend Akzeptanz und Durchführung des vorgeschlagenen Deals.

3. Entscheidungsbefugnis:

  • Übernahme der betriebsnotwendigen Verträge
    durch Gerichtsbeschluss
  • Die Übernahme der Verträge wird also auch bei einem Asset-Deal „gerichtlich erzwungen”.

4. Flexibilität für Erwerber:

  • Cherry Picking möglich (selektiver Erwerb von Unternehmensbestandteilen)

Deutschland (Übertragende Sanierung/Schutzschirmverfahren):

1. Zielsetzung:

  • Gläubigerbefriedigung

2. Vertraulichkeit:

  • Öffentliches Verfahren
  • Koordinierte Sanierung: Durch die enge Zusammenarbeit zwischen dem Unternehmen, dem Insolvenzverwalter und den Gläubigern. Übertragung nach der Zustimmung der Gläubigerversammlung und des Insolvenzgerichts.

3. Entscheidungsbefugnis:

  • Zustimmung der Vertragspartner zur Vertragsübernahme notwendig

4. Flexibilität für Erwerber:

  • Übernahme aller Mitarbeiter bei Betriebsübergang nach § 613a BGB

5. Kritik und Herausforderungen

Obwohl das französische Pre-Pack-Modell viele Vorteile bietet, insbesondere in Bezug auf die Vertraulichkeit der Vorbereitungsphase des Deals, der Flexibilität für den Erwerber sowie der Rechtssicherheit der Umsetzung , gibt es auch einige Herausforderungen:

  • Mangelnde Transparenz: Da der Verkauf hinter verschlossenen Türen vorbereitet wird, gibt es Kritik an der Fairness und Offenheit des Verfahrens.
  • Gerichtlicher Ermessensspielraum: Das Gericht hat die Möglichkeit, alternative Angebote zu bevorzugen oder alle Angebote abzulehnen.
  • Spannungen mit EU-Vorgaben: Die geplante EU-Richtlinie könnte eine stärkere Gläubigerorientierung erfordern, was in Konflikt mit der französischen Philosophie der Unternehmensrettung geraten könnte.

Pre-Pack-Verfahren: Eine Chance für deutsch-französische Unternehmen?

Das Pre-Pack-Verfahren stellt eine interessante Option für Unternehmen in Schwierigkeiten dar und hat sich in Frankreich als wirksames Mittel zur Unternehmenssanierung etabliert. Für deutsche Unternehmen mit Tochtergesellschaften in Frankreich können sich hierdurch neue Restrukturierungsmöglichkeiten ergeben.

Dieser Artikel hat keinen rechtlichen Wert und basiert ausschließlich auf Erfahrungen aus der Leitung deutscher Unternehmen und ihrer Tochtergesellschaften in Frankreich.

Autor: Ingo Schäfer ist seit über 20 Jahren als CFO und Geschäftsführer in Frankreich tätig und berät Unternehmen im deutsch-französischen Raum. Als CFO der Recylex Gruppe begleitete er 2022 den Verkauf der französischen Aktivitäten in einem Pre-Pack-Verfahren.

Die Strukturen von vif Solutions begleiten seit über 20 Jahren erfolgreich Unternehmen und öffentliche Institutionen auf dem deutschen und dem französischen Markt.

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