Know-How

Lebensentwurf: F.U.N. – FamilienUnternehmensNachfolgerinnen in Deutschland und Frankreich

Familienunternehmen mit ihren Gründungsgeschichten und Familienkonstellationen faszinieren mich seit jeher. Als ehemalige Nachfolgerin einer aus Frankreich nach Deutschland importierenden Firma und jetzige Beraterin für Familienunternehmen habe ich mein gesamtes (Berufs-)Leben mit Familienunternehmer*innen aus dem deutsch-französischen Umfeld zu tun.

Familienunternehmen sind geprägt von Emotionalität, Flexibilität und komplexen Verstrickungen – Aspekte, die für die Betroffenen persönlich herausfordernd sind und gleichzeitig die Unternehmen häufig sehr erfolgreich machen. In diesem Umfeld entsteht eine besondere Art von Führungsfrauen: FamilienUnternehmensNachfolgerinnen, kurz „F.U.N.“.

1. Theoretischer Rahmen

a. Besonderheiten von Familienunternehmen

Familienunternehmen zeichnen sich durch eine einzigartige Struktur aus, die der renommierte Wirtschaftswissenschaftler Fritz B. Simon treffend beschrieben hat. Nach Simon werden in Familienunternehmen zwei grundsätzlich gegensätzliche Systeme miteinander gekoppelt:

  1. Die Familie: Dieses System ist gekennzeichnet durch die Unkündbarkeit von Beziehungen. Hier spielen Gefühle als verbindendes Element eine zentrale Rolle, und die Wichtigkeit der Person als solche steht im Vordergrund.
  2. Das Unternehmen: Im Gegensatz zur Familie ist dieses System charakterisiert durch die grundsätzliche Austauschbarkeit von Personen. Hier sind Verträge und Geld die verbindenden Elemente, und die Wichtigkeit der Person ergibt sich primär aus ihrer Funktion.

Diese Kopplung führt zu einer faszinierenden Dynamik, in der die Grenzen zwischen Arbeits- und Familienzeit oft verschwimmen. Das Unternehmen nimmt häufig einen ebenso wichtigen oder sogar größeren Platz ein als ein Familienmitglied. Diese enge Verflechtung hat zur Folge, dass Gefühle einen starken Einfluss auf Geschäftsentscheidungen haben.

Im Idealfall resultieren aus dieser besonderen Konstellation folgende Erfolgsfaktoren von Familienunternehmen:

     i.     Personenorientierung

In Familien steht die Person im Mittelpunkt, nicht ihre Funktion. In Familienunternehmen herrscht oft eine familiäre Atmosphäre und damit einher geht eine starke Personenorientierung, die zu einem echten Wettbewerbsvorteil werden kann: Sowohl die Mitarbeiter*innen als auch die Kund*innen und Geschäftspartner*innen fühlen sich hier eher als Person wahrgenommen. Dies steigert die Loyalität zum Unternehmen.

   ii.     Nichtaustauschbarkeit/persönliche Bindung

Das „Investment“ in emotionalen Beziehungen ist sehr viel langfristiger und nicht primär auf Rendite ausgelegt. „Wer einem seiner Angehörigen etwas Gutes tut, erwartet keine unmittelbare Bezahlung.“ Die gegenseitige Loyalität und Identifikation ist hoch, eine Tatsache die sich häufig auch auf die familienfremden Mitarbeiter*innen auswirkt und im Optimalfall zu hoher Leistungsbereitschaft führt, was wiederum auch ökonomisch schwierige Zeiten besser überstehen lässt.

iii.     Teamorganisation

In Familienunternehmen gibt es meist eine hohe Rollenflexibilität, das heißt einzelne Personen sind bereit und in der Lage unterschiedliche Funktionen zu übernehmen. Simon beschreibt Teams als familienartige Einheiten, die in erfolgreichen Familienunternehmen die Langfristigkeit der Beziehungen mit einer hohen Rollenflexibilität kombinieren, das bringt Flexibilität, die wiederum Wettbewerbsvorteile verschaffen kann.

 iv.     Kapitalbindung

Der Planungshorizont von Familienunternehmer*innen spannt sich meist über mindestens eine Generation, ein Berufsleben hinweg, häufig bereits in die nächste Generation hinein und ist damit signifikant langfristiger, als dies in börsennotierten Unternehmen der Fall ist, in denen sich die Unternehmensleitung einer vierteljährigen Berichtspflicht gegenübersieht. Im Optimalfall führt dies zu ruhigeren, überlegteren Entscheidungen, die sich nicht einseitig an kurzfristiger Ertragsoptimierung orientieren.

Diese vier Faktoren können zu echten Wettbewerbsvorteilen führen. Sie fördern eine erhöhte Loyalität sowohl der Mitarbeiter*innen als auch der Kund*innen, ermöglichen eine größere Flexibilität in der Unternehmensführung und führen oft zu überlegteren, langfristigeren Entscheidungen.

Familienunternehmen sind historisch gesehen als „Männerbund“ konstituiert. Dies findet insbesondere seinen Ausdruck in der Regel, dass der erstgeborene Sohn das Unternehmen erbt und Geschäftsführer wird, die sogenannte „Primogenitur“. Diese Regel kann in unterschiedlicher Konsequenz Anwendung finden und ist in vielen Familienunternehmen unterschwellig noch wirksam.

So ist es auch kein Zufall, dass beide Protagonistinnen der Erfolgsgeschichten, die in diesem Artikel erzählt werden, keine älteren Brüder haben. Frauen kommen nach wie vor in der Unternehmensnachfolge vor allem dann vor, wenn die männliche Nachfolge, aus welchem Grund auch immer, nicht möglich ist.

Das ist aus verschiedenen Gründen bedauerlich:

  • Die meisten Familienunternehmer wünschen sich eine familieninterne Nachfolge, warum also nicht an eine Tochter übergeben?
  • Frauen sind heute genauso gut ausgebildet wie ihre Brüder.
  • Es kann ein sehr erfüllender Lebensentwurf für Frauen sein, zur „F.U.N.“ zu werden.
  • Häufig gestaltet sich ein Generationswechsel von Vater auf Tochter vergleichsweise reibungslos.
  • Letzteres gelingt insbesondere dann, wenn die Tochter nicht nur über die nötigen Kompetenzen verfügt und vom Nachfolgeprojekt überzeugt ist, sondern auch eine sogenannte ‚Vatertochter‘ ist – also eine besonders enge Bindung zu ihrem Vater hat. „Vatertöchter neigen dazu, ihren Vater zu idealisieren und können umgekehrt mit einer ausgeprägten Wertschätzung seinerseits rechnen.“ Wesentlich ist auch zu beachten, dass das Prinzip der Primogenitur den Söhnen keineswegs nur Vorteile bringt, ganz im Gegenteil, können sie nicht „konfliktfrei die Geschäftsleitung verweigern“ und „patriarchal eingestellte Väter können ihren Töchtern leichter Individuation ermöglichen, als ihren Söhnen“. (Daser, Bettina / Rahn, Christina (2008) „Wenn die Tochter dem Patriarchen folgt“ In Strick, Sabine (Hrsg.):  „Die Psyche des Patriarchen“, Frankfurt am Main: FAZ-Buch)

Als einen weiteren Faktor für erfolgreiche Nachfolge möchte ich die sogenannte Generativität benennen, d.h. dass die Beteiligten ein Interesse daran haben, Teil von etwas zu sein, das sie selbst überdauert.

Generativität ist die Kraft, die allen menschlichen Formen der Reproduktion zugrunde liegt, von den biologischen hin zu den geistigen.“ (Kotre, John (2001): „Lebenslauf und Lebenskunst, Über den Umgang mit der eigenen Biographie“, München: Carl Hanser)

Kurz gesagt: Das Gefühl Teil von etwas zu sein, das größer ist als mein eigenes Leben.

b. Wirtschaftliche Bedeutung von Unternehmensnachfolgen in Frankreich und Deutschland

Folgende Statistiken der deutsch-französischen Handelskammer zeigen, dass die Unternehmensnachfolge in Frankreich ein bedeutendes Thema ist, mit einer großen Anzahl von Unternehmen, die in den kommenden Jahren betroffen sein werden:

  • Jährlich sind in Frankreich etwa 60.000 Unternehmen von der Nachfolgeproblematik betroffen. Diese verteilen sich wie folgt:
    • 50.000 Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern
    • 50.000 Unternehmen mit 10 bis 50 Mitarbeitern
    • 50.000 Unternehmen mit über 50 Mitarbeitern
  • Ein Drittel der Firmeneigentümer in Frankreich ist über 50 Jahre alt.
  • In den nächsten 10 Jahren werden schätzungsweise 700.000 Unternehmen in Frankreich von der Nachfolgeproblematik betroffen sein.
  • Im Jahr 2023 gab es in Frankreich rund 51.000 Unternehmensweitergaben. Dies entspricht jedoch nur 27% der 185.000 Firmen, die zur Nachfolge angeboten wurden.
  • Im Gegensatz zu Deutschland, wo 54% der Unternehmen im Familienbesitz bleiben, werden in Frankreich 51% der Unternehmen an externe Investoren verkauft.

In Deutschland weist das Institut für Mittelstandsforschung folgende Zahlen aus:

  • Für den Zeitraum 2022 bis 2026 wird erwartet, dass bei etwa 190.000 Unternehmen eine Nachfolge ansteht. Das entspricht durchschnittlich 38.000 Übergaben pro Jahr.
  • Nach Branchen verteilen sich die Nachfolgen wie folgt:
    • Fast 50% im Bereich der unternehmensbezogenen Dienstleistungen
    • Etwa 25% im produzierenden Gewerbe
    • Der Rest verteilt sich auf andere Sektoren, wobei personenbezogene Dienstleistungen unterrepräsentiert sind
  • Eine Studie der KfW prognostiziert, dass bis 2025 sogar 842.000 Inhaber mittelständischer Unternehmen ihre Tätigkeit aufgeben werden. Davon planen 61% eine Übergabe, während 300.000 mit einer Schließung rechnen.
  • Laut einer Umfrage des ifo Instituts und der Stiftung Familienunternehmen steht bei 43% der Familienunternehmen in den nächsten drei Jahren eine Unternehmens- oder Anteilsübertragung an. Bei größeren Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern sind es sogar 50%.
  • Die Nachfolgesituation wird durch verschiedene Faktoren erschwert:
    • 42% der befragten Unternehmen haben noch keinen Nachfolger aus der Familie
    • Nur 34% der Familienunternehmen schaffen eine familieninterne Nachfolge
    • Der demografische Wandel und das abnehmende Interesse am Unternehmertum in der jüngeren Generation verschärfen die Situation

Diese Zahlen verdeutlichen die große Herausforderung der Unternehmensnachfolge in Deutschland in den kommenden Jahren.

c. Familien-Unternehmenslandschaft im Vergleich

In beiden Ländern spielen Familienunternehmen eine zentrale Rolle in der Wirtschaft, jedoch gibt es einige bemerkenswerte Unterschiede:

  1. Größenverteilung: In Frankreich finden wir verhältnismäßig mehr sehr große Familienunternehmen als in Deutschland. Unternehmen wie LVMH (Louis Vuitton Moët Hennessy), L’Oréal oder Kering sind weltweit bekannte Marken und gleichzeitig Familienunternehmen. In Deutschland hingegen dominiert der Mittelstand, oft als „Rückgrat der deutschen Wirtschaft“ bezeichnet. Diese mittelständischen Unternehmen sind häufig Familienunternehmen, die in ihren jeweiligen Nischen Weltmarktführer sind, aber weniger im Rampenlicht stehen.
  2. Branchenfokus: Französische Familienunternehmen sind stark in den Bereichen Luxusgüter, Mode und Konsumgüter vertreten. Dies spiegelt die traditionelle Stärke Frankreichs in diesen Sektoren wider. Deutsche Familienunternehmen sind dagegen oft im produzierenden Gewerbe, im Maschinenbau und in technologieintensiven Branchen zu finden. Viele dieser Unternehmen sind sogenannte „Hidden Champions“ – Weltmarktführer in spezifischen Nischenmärkten, die der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt sind.
  3. Internationalisierung: Sowohl französische als auch deutsche Familienunternehmen sind stark international ausgerichtet. Allerdings gibt es Unterschiede in der Art der Internationalisierung. Französische Unternehmen tendieren dazu, durch Akquisitionen und den Aufbau globaler Marken zu expandieren, während deutsche Unternehmen oft organisches Wachstum und den Aufbau von Produktionsstätten im Ausland bevorzugen.
  4. Innovationskultur: Deutsche Familienunternehmen sind bekannt für ihre inkrementellen Innovationen – kontinuierliche Verbesserungen bestehender Produkte und Prozesse. Französische Unternehmen neigen dagegen häufiger zu disruptiven Innovationen und sind oft bereiter, in neue, unerprobte Geschäftsfelder vorzustoßen.

d. Vier Thesen über die Attraktivität des Lebensentwurfes „F.U.N.“

  1. Generativität wird als zutiefst sinnstiftend erlebt. Die Tatsache, in der Tradition einer Unternehmerfamilie zu stehen, an und in einem Unternehmen zu arbeiten, das von den Eltern, Großeltern oder vorherigen Generationen gegründet und aufgebaut wurde, gibt dem eigenen Leben und Wirken eine Richtung, einen tieferen Sinn und bringt häufig auch den Wunsch hervor, dies in die nächste Generation weiter zu tragen. Dies ist eine Evidenz, die sich nicht nur bei den erfolgreichen familieninternen Übergaben zeigt, sondern die mir gerade bei schwierigen, sowie bei gescheiterten Unternehmensnachfolgen begegnet ist. Wenn die Beziehungen innerhalb der Familie konfliktbeladen und schmerzhaft ausgestaltet waren und der unternehmerische Erfolg dennoch in die nächste Generation getragen wurde, ist die Tatsache in einem beruflich erfolgreichen Kontinuum zu stehen, manches Mal die zentrale positive Verbindung zur Vorgängergeneration.
  2. Für Frauen erkennen ganz besonders die Veränderungsmöglichkeit von Führungsstil und Unternehmenskultur, ohne sich dabei in kräftezehrenden Auseinandersetzungen mit männlichen Vorgesetzen aufreiben zu müssen. Das eigene Unternehmen bietet die Gelegenheit, männlich geprägte Macht- und Entscheidungsstrukturen auszuhebeln und die Art von Führungsstil und Unternehmenskultur zu etablieren, die frau gefällt. Sehr augenfällig ist dieser Aspekt in dem Fallbeispiel von Nicole, die eine moderne, partizipative Kultur entwickelt hat, in der es keinen Platz für „Männergehabe“ gibt. Auch Sophie hat massiv die Unternehmenskultur nach menschlichen Bedürfnissen ausgerichtet und punktet damit im Wettbewerb um Fachkräfte. Nachfolgerinnen bringen häufig genau die Führungsqualitäten mit, die heute zählen: kollaborativ, inklusiv und sinnorientiert. In einer Zeit, in der nachhaltiger Erfolg auf Teamgeist, Agilität und sozialer Verantwortung beruht, sind diese Kompetenzen gefragter denn je. Sie sind nicht ausschließlich weiblich – aber viele F.U.N.-Frauen leben sie mit besonderer Klarheit und Überzeugung.
  3. Zahlreiche F.U.N.-Frauen zeichnen sich durch eine bemerkenswerte Fähigkeit aus, Modelle gemeinschaftlicher Führung zu etablieren, die sowohl Innovation als auch organisationale Resilienz begünstigen. Viele der U.N.-Frauen wählen das sogenannte Tandem als Übernahme- und Führungsstrategie. Sie führen also zunächst gemeinsam mit dem Übergeber (meist dem Vater) und später mit einem anderen Familienmitglied oder einer Fremdgeschäftsführer*in. Damit vermeiden sie nicht nur die berühmte Einsamkeit an der Spitze, sondern fördern auch die Widerstandskraft ihrer Unternehmen.
  4. Der Lebensentwurf „F.U.N.“ bietet die Möglichkeit beides zu vereinbaren Familie, eigene Kinder und eine verantwortungsvolle, herausfordernde Arbeit. Die besonders in Deutschland viel umstrittene Vereinbarkeit von Familie und Beruf findet in Familienunternehmen ihre ganz eigene Antwort. Natürlich kann auch die „F.U.N.“ -Frau keine Kinderbetreuungsplätze der öffentlichen Hand herzaubern. Aber sie kann sich anders organisieren. Sie ist freier in der Gestaltung und kann selbst bestimmen, wie sie ihr Arbeits- und Familienleben organisiert. Was es dazu braucht, ist in jedem Fall ein dickes Fell – so sagte eine gestandene Unternehmerin und Mutter: „Was ich am bittersten lernen musste, war Anfeindungen abprallen zu lassen und aufzuhören, mich zu erklären.“

2. Beispiele aus der Praxis

Hier folgen nun zwei Geschichten von FamilienUnternehmensNachfolgerinnen aus Deutschland und Frankreich. Diese Geschichten zeigen auf, dass die Besonderheit in einer Unternehmerfamilie aufgewachsen zu sein, eine verbindende Erfahrung ist, die über nationale Landesgrenzen hinaus geht. Unterschiedlich sind jedoch die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen arbeitender Frauen und Mütter in Deutschland und Frankreich, was in den Geschichten durchklingt. Jede hat ihre ganz eigene Überschrift, das Hervorstechendste, was die jeweilige „F.U.N.“ -Frau geteilt hat.

a. Deutschland: Nicole: „Ich wollte nie Unternehmerin werden“

Über die Entstehung einer unbewusst maßgeschneiderten Laufbahn

Nicole stammt aus einer konservativen Familie, in der ihr Großvater der Patriarch war. Das Unternehmen, ein Automobilzulieferer, wurde Anfang der 1930er Jahre gegründet. Nicoles Vater, geboren 1937, trat 1951 in den Betrieb ein und übernahm später die Leitung. Seine Schwestern, starke Persönlichkeiten, waren ebenfalls im Unternehmen aktiv.

Nach dem Tod des Großvaters erbte Nicoles Vater das Unternehmen, was zu Spannungen mit seinen Schwestern führte. Nicole, damals neun Jahre alt, lernte daraus: „Ich muss mich selbst kümmern!“ Sie bestand auf einem Abitur, obwohl ihre Mutter dagegen war, und begann später ein Ingenieurstudium, das zum Unternehmen passte.

Nach dem Studium arbeitete Nicole zunächst außerhalb des Familienunternehmens, heiratete und kehrte 1992 in ihre Heimatstadt zurück. Dort begann sie 1993 im elterlichen Betrieb zu arbeiten. Sie wurde Mutter zweier Söhne, und nach dem Tod ihres Vaters übernahm sie zunehmend Verantwortung.

2003 verkaufte ihr Vater 75% der Anteile an einen externen Unternehmer. Nicole erlebte erstmals „Männergehabe“ und war schockiert über die unterschiedlichen Führungsstile. Der neue Teilhaber verkaufte seine Anteile bald darauf an einen Mitbewerber, was Nicole vor neue Herausforderungen stellte.

2007 wurde Nicole gekündigt, was zu großer Empörung bei der Belegschaft führte. Mit der Unterstützung ihrer Mitarbeiter, Kunden und der Hausbank gründete sie ihr eigenes Unternehmen neu in der Tradition Ihrer Vorväter und führt es seitdem erfolgreich.

Nicoles Geschichte und die vier Thesen über die Attraktivität des Lebensentwurfes „Familienunternehmensnachfolgerin“

  1. Generativität wird als zutiefst sinnstiftend erlebt. Nicole steht in der Tradition ihres Großvaters und Vaters und plant bereits ihre eigene Nachfolge innerhalb der Familie. Sie hat das Unternehmen auf ihre Weise geprägt und kritisch reflektiert.
  2. Frauen genießen die Veränderungsmöglichkeit von Führungsstil und Unternehmenskultur. Nach negativen Erfahrungen mit Fremdgesellschaftern entwickelte Nicole eine moderne, partizipative Unternehmenskultur, die sie nur durch ihre alleinige Führung etablieren konnte.
  3. Etablierung von Modellen gemeinschaftlicher Führung. Nicole pflegt eine partizipative Kultur, betont jedoch in Bezug auf die Eigentumsverhältnisse: „Niemals unter 51%“ – ein Credo, das aus ihrer Geschichte heraus verständlich ist.
  4. Kinder und eine verantwortungsvolle, herausfordernde Arbeit: Nicole betont, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutschland schwierig ist. Sie musste oft mit schlechtem Gewissen jonglieren, was sie als belastend empfand.

b. Frankreich: Sophie: „Ich kann es und ich will es“

Kompetenz und freie Entscheidung als Erfolgsfaktoren

Das Unternehmen, das Sophie heute leitet, wurde 1938 im Nordosten Frankreichs gegründet und ist im Bereich Handel und Logistik tätig. Sophies Großvater gründete das Unternehmen, und ihr Vater übernahm 1957 die Leitung. Sophie, geboren 1969 als zweites von fünf Kindern, wuchs in enger Verbindung zum Unternehmen auf. Ihr Kinderzimmer war bis zum Alter von sechs Jahren ihr heutiges Büro.

Nach dem Abitur zog Sophie nach Paris, um Wirtschaft zu studieren. Während des Studiums sammelte sie Erfahrungen in großen Unternehmen und stieg später zur Finanzverantwortlichen auf. 1999 heiratete sie und zog in den Süden Frankreichs, wo sie eine Patchworkfamilie gründete.

2009 entschied sich Sophie, die Nachfolge im Familienunternehmen anzutreten, nachdem ihr Vater die Familie gefragt hatte, ob sie das Unternehmen behalten oder verkaufen wollten. Sie stellte Bedingungen: Ihre Geschwister sollten ihre Kompetenz bestätigen, die familiären Beziehungen sollten unberührt bleiben, und ein Aufsichtsrat sollte gegründet werden.

Sophie übernahm die Leitung gemeinsam mit einem neuen Geschäftsführer, was ihr half, die Herausforderungen zu meistern. Die Branche, stark männlich geprägt, begegnete ihr zunächst mit Skepsis, doch sie konnte sich durch ihre Kompetenz durchsetzen.

Heute führt Sophie das Unternehmen erfolgreich und genießt die Flexibilität, die ihr die Arbeit im Familienunternehmen bietet. Sie betont die Bedeutung von Generativität und die Möglichkeit, Führungsstil und Unternehmenskultur zu gestalten. Die Tandemführung mit einem Geschäftsführer ermöglicht es ihr, die Einsamkeit in der Führung zu vermeiden.

Sophie schätzt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in einem Familienunternehmen, die in einem Konzern so nicht möglich wäre. Sie kann flexibel entscheiden, wann sie sich um ihre Familie kümmert, was ihr ein ausgewogenes Leben ermöglicht.

Sophies Geschichte und die vier Thesen über die Attraktivität des Lebensentwurfes „Familienunternehmensnachfolgerin“

  1. Generativität wird als zutiefst sinnstiftend erlebt. Wenn Sophie über ihr Büro spricht, das früher mal ihr Kinderzimmer war, schwingt viel Gefühl mit. Sie beschreibt ihren Beitrag als Teil eines Bandes, das in der Vergangenheit beginnt und sich über ihr Leben hinaus in die Zukunft spannt. Für sie hat ihre Arbeit heute etwas zutiefst Sinnhaftes, wie sie es in keiner anderen Position zuvor für sich selbst je erlebt hat.
  2. Frauen genießen ganz besonders die Veränderungsmöglichkeit von Führungsstil und Unternehmenskultur. Nach ihren langjährigen Erfahrungen in großen Konzernen und mit Finanzinvestoren, deren Hauptziel die Renditemaximierung war, ist Sophie glücklich, an der Spitze eines Unternehmens zu stehen, das auf die Menschen, die darin arbeiten, zugeschnitten ist. Sie genießt es, die Unternehmenskultur beeinflussen zu können. Wichtige Faktoren sind für sie Verlässlichkeit und Kontinuität, die sie ihren Mitarbeitern bieten möchte.
  3. Etablierung von Modellen gemeinschaftlicher Führung. Sophie beschreibt ihren Vater als wenig kommunikativen Mann, der sehr auf seine Arbeit konzentriert war, während ihre Mutter die Personalverantwortung innehatte und immer für eine gute, menschliche Atmosphäre gesorgt hat. Sophie sah sich der Herausforderung gegenüber, beide Aufgaben in einer Person zu vereinigen. Sie entschied sich für eine Tandemführung mit einem Fremdgeschäftsführer und ist darüber sehr glücklich. „Die typische Einsamkeit in der Führung, von der man so viel spricht, die kenne ich gar nicht.“
  4. Kinder und eine verantwortungsvolle, herausfordernde Arbeit: Sophie beschreibt: „In Frankreich kann man ein normales Arbeitsleben und das Muttersein durchaus gut verbinden. Die Arbeit in einer Position mit großer Verantwortung in einem Konzern ist mit dem Muttersein hingegen nur sehr schwer vereinbar – in einem Familienunternehmen, noch dazu meinem eigenen, ist das viel leichter. Dabei geht es gar nicht um ein größeres Zeitkontingent, das ich für meine Familie zur Verfügung habe, sondern ausschließlich um die Flexibilität.“

c. Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland

Die Geschichten von Nicole und Sophie zeigen die Unterschiede zwischen den Rahmenbedingungen in Deutschland und Frankreich auf. In Deutschland ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oft schwieriger als in Frankreich. Nicole berichtet von den Herausforderungen, die sie als Mutter und Unternehmerin in Deutschland erlebt hat. Sie musste oft mit einem schlechten Gewissen jonglieren, da die gesellschaftlichen Erwartungen und die Unterstützung für berufstätige Mütter begrenzt sind.

In Frankreich hingegen scheint die Vereinbarkeit leichter zu sein, wie Sophie berichtet. Die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für arbeitende Frauen und Mütter sind in Frankreich günstiger. Es gibt eine stärkere Akzeptanz für flexible Arbeitszeiten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sophie konnte ihre Rolle als Mutter und Unternehmerin besser ausbalancieren, da die gesellschaftlichen Erwartungen und die Unterstützung für berufstätige Mütter größer sind.

Ein weiterer Unterschied liegt in der gesellschaftlichen Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen. In Frankreich gibt es eine größere Bereitschaft, Frauen in leitenden Positionen zu akzeptieren und zu unterstützen. Sophie erlebte zwar anfangs auch Skepsis, konnte sich jedoch durch ihre Kompetenz und Entschlossenheit durchsetzen. In Deutschland hingegen musste Nicole sich stärker gegen traditionelle Rollenbilder behaupten.

d. Erfolgsfaktoren für den Lebensentwurf „F.U.N.“

  • Erfahrungen außerhalb des Familienunternehmens sammeln: Beide Frauen, Nicole und Sophie, sammelten wertvolle Erfahrungen außerhalb des Familienunternehmens, bevor sie die Nachfolge antraten. Diese Erfahrungen halfen ihnen, neue Perspektiven und Fähigkeiten in das Familienunternehmen einzubringen.
  • Gute Beziehung zwischen Abgeber und Nachfolgerin: Eine starke und unterstützende Beziehung zwischen den Generationen ist entscheidend für eine erfolgreiche Nachfolge. Sowohl Nicole als auch Sophie hatten eine gute Beziehung zu ihren Vätern, die ihnen den Übergang erleichterte.
  • Unterstützung vom Partner und Familie: Die Unterstützung des Partners und der Familie ist unerlässlich. Beide Frauen konnten auf die Unterstützung ihrer Partner zählen, was ihnen half, die Herausforderungen der Nachfolge zu meistern.
  • Klarheit in der Abgrenzung: Eine klare Abgrenzung der Rollen und Verantwortlichkeiten ist wichtig, um Konflikte zu vermeiden. Sowohl Nicole als auch Sophie legten Wert auf eine klare Trennung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten.
  • Eindeutige innere Klärung zwischen „ich will“ und „ich muss/soll“: Beide Frauen entschieden sich freiwillig für die Nachfolge und fühlten sich nicht dazu gezwungen. Diese innere Klarheit half ihnen, die Herausforderungen der Nachfolge mit Überzeugung und Leidenschaft anzugehen.

e. Fazit

Der Lebensentwurf „F.U.N.“ bietet viele Gestaltungsmöglichkeiten und die Chance auf eine win-win-Situation für beide Generationen. Ich wünsche Unternehmerfamilien in beiden Ländern, dass sie sich der weiblichen Nachfolge öffnen, und jungen Frauen, dass sie Mut fassen, ihren eigenen Lebensentwurf „F.U.N.“ zu gestalten.

Denn: Unternehmensnachfolge klug gedacht, ist unbedingt auch weiblich!

Die Strukturen von vif Solutions begleiten seit über 20 Jahren erfolgreich Unternehmen und öffentliche Institutionen auf dem deutschen und dem französischen Markt.

Köln Paris – München –Lyon

Ihre Kontaktperson

EXECUTIVE COACH

Britta J. Reinhardt